Loch im Herzen

Der Ventrikelseptumdefekt

Mehr als 6.500 Kinder werden in Deutschland pro Jahr mit einem Herzfehler geboren. Somit ist fast jedes 100. Neugeborene betroffen. Das Spektrum der angeborenen Herzanomalien reicht von sehr einfachen, unkomplizierten Formen bis hin zu schweren Herzerkrankungen, die ohne frühzeitige Erkennung und Behandlung lebensbedrohlich sind.

Der wohl bekannteste angeborene Herzfehler ist der Ventrikelseptumdefekt (VSD), der allgemein als „Loch im Herzen“ bezeichnet wird.  Mit einem Anteil von etwa 40 Prozent ist er der häufigste aller Herzfehlbildungen. Durch einen Substanzdefekt in der Scheidewand (intraventrikuläres Septum) zwischen der rechten und linken Kammer des Herzens (Ventrikel) entsteht eine Öffnung zwischen den beiden sonst voneinander getrennten Herzkammern. Hierbei gelangt sauerstoffreiches Blut von der linken Kammer durch das Loch in das sauerstoffarme Blut der rechten Herzhälfte. Dieser Defekt wird auch Links-Rechts-Shunt genannt (siehe Abbildung).

Bei einem gesunden Herzen wird das sauerstoffarme Blut, das aus dem Körperkreislauf zum Herzen zurückfließt, von der rechten Herzkammer (rechter Ventrikel) über die Lungenschlagader (Pulmonalarterie) zur Sauerstoffaufnahme in die Lunge gepumpt. Von dort fließt das mit Sauerstoff angereicherte Blut über den linken Vorhof in die linke Herzkammer (linker Ventrikel) zurück. Diese pumpt das sauerstoffreiche Blut über die Hauptschlagader (Aorta) in den Körperkreislauf, wo der Sauerstoff von den Organen benötigt wird. Für diese Aufgabe benötigt der linke Ventrikel einen etwa 3- bis 4-mal so hohen Blutdruck als der rechte Ventrikel, der das weiche Lungengewebe durchblutet.

Wenn sich bei einem VSD das Blut durchmischt, gelangt dieses in einer größeren Menge in die Lungenstrombahn, was zu einer Überdurchblutung der Lunge führt. Das wiederum kann – je nach Ausmaß – zu einem erhöhten Blutdruck in den Lungengefäßen führen (Pulmonale Hypertonie). Da das fehlgeleitete Blut aber nicht im Körperkreislauf fehlen darf, versucht das Herz mit einer höheren Pulsfrequenz und einem größeren Pumpvolumen der linken Herzkammer die Blutmenge zu regulieren. In Abhängigkeit zur Shuntgröße führt das auf Dauer zu einer Volumenbelastung des linken Ventrikels. Wenn sich dadurch der Blutdruck in der Lungenstrombahn erhöht, muss auch der rechte Ventrikel einen höheren Pumpdruck als normal aufbringen, was zu einer Druckbelastung der rechten Kammer führt. Die Lungengefäße verlieren kontinuierlich an Elastizität, verdicken ihre Gefäßwände und verringern dadurch ihren Innendurchmesser. Der Widerstand für die Lungendurchblutung nimmt weiter zu.

Symptome

Zumeist ist ein Herzgeräusch der Kernbefund eines Ventrikelseptumdefekts. Dieses wird allerdings erst bis zu vier Wochen nach der Geburt hörbar, wenn sich der Lungenkreislauf von der Vorgeburtszeit auf den regulären Kreislauf umgestellt hat. Solange kann ein Säugling mit einem VSD unauffällig erscheinen. Danach können weitere Anzeichen wie z.B. eine erschwerte Atmung, Schwitzen, Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung auftreten. Unbehandelt kann es bei Kindern mit großen Links-Rechts-Shunts zu Wassereinlagerungen in der Lunge, der Schädigung der Lungenschlagader durch einen erhöhten Druck sowie schließlich zum Pumpversagen des Herzens kommen.

Diagnose

Besteht bereits vor der Geburt der Verdacht auf einen angeborenen Herzfehler, wird die behandelnde Gynäkologin/der behandelnde Gynäkologe Mutter und Kind in eine Spezialeinrichtung überweisen, die Art und Ausmaß der Fehlbildungen mit der fetalen Echokardiographie untersuchen und beurteilen kann.

Zur Routinediagnostik nach der Geburt gehören das Abhören der Herztöne, die Blutdruckmessung an allen vier Extremitäten, ein EKG (Elektrokardiogramm) und die Echokardiographie (Herzultraschall). Der Herzultraschall in seinen verschiedenen technischen Formen stellt das wichtigste Instrument bei der Feststellung eines VSD dar. Durch das Verfahren lassen sich selbst die kleinsten Defekte im Herzen sichtbar machen. In ausgewählten Kliniken steht zusätzlich ein speziell auf Säuglinge und Kleinkinder optimierter Ultraschallkopf zur Verfügung, mit dem das kindliche Herz in hochauflösender Bildqualität in 2D- und 3D-Schnittbildern dargestellt werden kann. Weitere diagnostische Methoden wie CT, MRT und die Herzkatheteruntersuchung können je nach Fall-Situation für weitere Details durchgeführt werden.

Therapie

Entscheidend über die Art und den Zeitpunkt der Therapie sind die vorliegenden, individuellen Gegebenheiten. Berücksichtigt werden die Größe und der Typ des VSD, die Belastung für das Herz und die Lungengefäße, die zusätzliche Beteiligung einer Herzklappe, eventuell zu erwartende Problematiken während des Eingriffs und die Entwicklung des VSD (z.B. Verkleinerung).

Bei sehr kleinen und leichten Formen des Ventrikelseptumdefekts heilt das Loch von selbst aus und bedarf keiner weiteren Behandlung. Bei etwa der Hälfte der betroffenen Patient*innen ist das der Fall – der VSD verschließt sich innerhalb des ersten Lebensjahres. In der Regel sind diese Kinder später körperlich völlig normal belastbar.

Bei mittleren und großen Defekten muss das Loch verschlossen werden. Die Therapie eines VSD mittels Medikamentengabe ist nicht möglich. Medikamente werden bei VSD-Patient*innen überwiegend zur Stabilisierung bis zum geplanten Eingriff verwendet, z.B. wenn Säuglinge und Kinder bereits Symptome zeigen oder zu schwach für einen sofortigen Eingriff sind.

Bei der operativen Behandlung am offenen Herzen wird das Loch unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine verschlossen. Der Blutkreislauf wird somit stillgelegt und die Maschine übernimmt die Funktion des Herzens und der Lunge. Bei der OP wird der Brustkorb eröffnet und dann der rechte Vorhof. Über die Vorhofklappe ist der Defekt an der Scheidewand des Herzens sichtbar. Die Chirurgin/der Chirurg verschließt das Loch entweder mit körpereigenem Gewebe aus dem Herzbeutel oder mit einem Kunststoffplättchen, einem sogenannten Patch. Das Herz überzieht das Material in kurzer Zeit mit eigenem Gewebe, sodass keine Abstoßreaktionen zu befürchten sind. Mittlerweile zählt der Verschluss des VSD – auch im Säuglingsalter - zu den Routineoperationen und birgt nur geringe Risiken (unter 1 Prozent). Die Patient*innen gelten nach der Operation als geheilt.

Eine weitere Möglichkeit ist der Verschluss mittels Herzkatheterintervention. Der Zugang zum Herzen erfolgt hierbei über einen Katheter, der über die Leistenvene in das Herz vorgeschoben wird. Die Kardiologin/der Kardiologe positioniert mithilfe des Katheters dann ein „Schirmchen“ im Bereich des Defekts und verschließt durch Öffnung des Schirmchen das Loch. Obwohl auch die Katheterintervention in erfahrenen Kinderherzzentren sehr sicher und erfolgreich ist, gilt die Operation weiterhin als Goldstandard.

Der Langzeitverlauf von Patient*innen mit einem erfolgreichen Verschluss des VSD im Kindesalter ist sehr gut. Die Lebenserwartung der Betroffenen ist von der Normalbevölkerung kaum zu unterscheiden. In der Kinderherzklinik des Herzzentrums Göttingen werden Patient*innen mit angeborenen Herzfehlern ein Leben lang begleitet, auch wenn sie aus dem Kinder- und Jugendalter herausgewachsen sind. Durch die enge Zusammenarbeit von Kinderkardiolog*innen und Erwachsenenkardiolog*innen im zertifizierten überregionalen EMAH-Zentrum (Erwachsene mit angeborenem Herzfehler) wird ein reibungsloser Übergang der medizinischen Versorgung vom Kindes- in das Erwachsenenalter ermöglicht. Erforderliche operative Eingriffe werden vom erfahrenen Team der Kinderherzchirurgie durchgeführt.

Leitender Oberarzt

Prof. Dr. Matthias Sigler

Prof. Dr. Matthias Sigler

secretariat

  • Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
    Zusatzqualifikationen: Pädiatrische Kardiologie, Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin, EMAH-Kardiologie

Follow us