Wem helfen vorsorglich implantierte Defibrillatoren (ICD)? Große EU-Studie im Ergebnis vorgestellt.
(umg) Bisher galten implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) für Menschen mit Herzrhythmusstörungen als Lebensversicherung vor dem plötzlichem Herztod. Älteren Studien zufolge sind rund ein Drittel der Patienten mit einem besonderen Risiko für Herzrhythmusstörungen im Vorteil, wenn ihr Herz durch einen solchen „Schock-Schrittmacher“ unterstützt wird. Bei lebensbedrohlichen Herz-Rhythmus-Störungen kann ein starker elektrischer Impuls den Herzmuskel wieder in den richtigen Takt bringen. Das ist die Aufgabe von Defibrillatoren, die wie Herzschrittmacher in den Brustkorb eingesetzt werden. Die aktuellen ärztlichen Leitlinien sehen vor, dass diese Geräte bei bestimmten Herzerkrankungen vorbeugend eingesetzt werden. Die vorbeugende Implantation ist medizinische Routine und wird in Europa mehr als 100.000 Mal im Jahr durchgeführt. Dies ist nicht nur mit enormen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden, sondern stellt auch ein gewisses Risiko dar: Innerhalb von zehn Jahren kommt es bei etwa jedem vierten Defibrillator zu Komplikationen.
Im Rahmen der europaweit angelegten EU-CERT-ICD-Studie (Comparative Effectiveness Research to Assess the Use of Primary ProphylacTic Implantable Cardioverter Defibrillators in Europe) wurden die Daten von 2.327 Patienten aus 44 klinischen Zentren in 15 europäischen Ländern ausgewertet unter der Fragestellung: Welchen Patienten mit Herzrhythmusstörungen hilft die vorsorgliche Behandlung mit einem implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) und schützt sie explizit vor dem plötzlichen Herztod? Koordiniert wurde die EU-CERT-ICD-Studie vom Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Zabel, Leiter des Schwerpunkts Klinische Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG. An der Studie mit beteiligt waren vier Partnerinstitutionen des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung (DZHK): die Universitätsmedizin Göttingen (UMG), die Charité Universitätsmedizin Berlin sowie die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und die Technische Universität (TU), beide München.
LATE BREAKING SCIENCE: ÜBERLEBENSVORTEIL IN DER GESAMTGRUPPE
Für die Forschenden um Prof. Dr. Markus Zabel, Leiter des Schwerpunkts Klinische Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG, und Prof. Dr. Tim Friede, Direktor des Instituts für Medizinische Statistik der UMG, ergab sich ein überraschendes Ergebnis: In der Gesamtgruppe zeigte sich ein deutlicher Überlebensvorteil von 27 Prozent. „Prophylaktische Defibrillatoren sollten generell auch weiterhin nach individueller Beurteilung eines einzelnen Patienten verordnet und implantiert werden“, sagt Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender des Herzzentrums der UMG und Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG.
Neben dem durchschnittlichen Überlebensvorteil aller Patienten wurde in den Studienergebnissen aber auch deutlich, dass Patienten über 75 Jahre, Diabetiker oder Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen nicht oder nicht mehr vom prophylaktischen Einsatz eines ICD profitieren. Bei diesen Patienten sind Herzrhythmusstörungen deutlich seltener. „Bei dieser Patientengruppe sollte die prophylaktische Defi-Implantation nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen“, so Prof. Zabel. Im Gegensatz dazu ist der Nutzen bei jüngeren Patienten mit Herzschwäche und Herzmuskelschwäche (DCM) umso größer.
VORSTELLUNG DER STUDIENERGEBNISSE
Die Studienergebnisse werden beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) vom 31. August bis 4. September in Paris als „late-breaking science“ von Prof. Zabel von der UMG und Prof. Axel Bauer, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin III – Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Universitätsklinik Innsbruck, vorgestellt. Zeitgleich werden am 1. September 2019 die Ergebnisse der Sub-Studie in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht. Die Europäische Union (EU) förderte das Projekt mit insgesamt sechs Millionen Euro. Die Studie ist die bisher einzige ICD-Patientenstudie, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde.
Weitere Auswertungen aus den vorliegenden, umfangreichen Studiendaten werden vorbereitet. Damit sollen die Auswahlkriterien für Patienten, bei denen eine prophylaktische Defi-Therapie sinnvoll sein kann, aktualisiert und fortlaufend verbessert werden. Auch die sozioökonomischen Auswirkungen sowie Auswirkungen auf die Lebensqualität werden in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen der Charitè Universitätsmedizin Berlin untersucht.
WEITERE PUBLIKATION: INDIVIDUELLE PATIENTENAUSWAHL DURCH LANGZEIT-EKG UND PRD
Den lebensrettenden Nutzen von prophylaktischen Defibrillatoren zeigt auch die zeitgleich in Lancet publizierte Substudie des Projekts zum EKG-Parameter „Periodic Repolarization Dynamics (PRD)“. Bei jedem Herzschlag wird das Herz natürlicherweise elektrisch erregt und die Erregung anschließend wieder zurückgebildet. Bei Herzschwäche kommt es häufig zu einer Überaktivität des Sympathikus, eines Teils des autonomen Nervensystems, der unter anderem in Stresssituationen aktiv ist. Dadurch kann sich die Erregungsrückbildung des Herzens destabilisieren. Ist dies der Fall, steigt das Risiko für bösartige Herzrhythmusstörungen dramatisch an. Diese gefährlichen Instabilitäten der Erregungsrückbildung können nun mit einem relativ neuen EKG-Verfahren, der sog. „Periodic Repolarization Dynamics“ (PRD), erkannt werden. Dieser Parameter wurde in einem aufwändigen Verfahren in Kooperation der beiden Münchner Universitäten; LMU und TU, von Prof. Axel Bauer (ehemals LMU) und Prof. Georg Schmidt (TU) mit Prof. Markus Zabel (UMG) aus 24-Stunden-Langzeit-EKG-Aufzeichnungen, die bei allen Studienpatienten vorlagen, ausgewertet. Es zeigte sich, dass der PRD-Parameter insbesondere Patienten identifizieren kann, die von einem vorbeugenden Defibrillator besonders profitieren:
Insgesamt reduzierte die vorbeugende Implantation eines Defibrillators das Risiko, innerhalb der folgenden vier Jahre zu sterben, um 43 Prozent. Patienten mit einem PRD-Wert größer oder gleich 7,5 Grad profitierten deutlich mehr, ihr Sterberisiko wurde um 75 Prozent reduziert. Lag der PRD-Wert unter 7,5 Grad, wurde die Sterberisiko nur um 31 Prozent reduziert. Grund dafür ist, dass der PRD-Parameter eine Überaktivität der Stressnerven (Nervus sympathicus) des Herzens messen kann und damit ein Indikator der elektrischen Instabilität des Herzens ist. „Eine Langzeit-EKG-Messung mit PRD-Auswertung könnte daher eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Diskussion über einen vorbeugenden Defibrillator werden“, sagt Prof. Axel Bauer von der Medizinischen Universitätsklinik Innsbruck.
PUBLIKATION
Axel Bauer, Mathias Klemm, Konstantinos D Rizas, Wolfgang Hamm, Lukas von Stülpnagel, Michael Dommasch, Alexander Steger, Andrezej Lubinski, Panagiota Flevari, Markus Harden, Tim Friede, Stefan Kääb, Bela Merkely, Christian Sticherling, Rik Willems, Heikki Huikuri, Marek Malik, Georg Schmidt*, Markus Zabel*, and the EU-CERT-ICD investigators. „Prediction of mortality benefit based on periodic repolarisation dynamics in patients undergoing prophylactic implantation of implantable cardioverter defibrillators: a prospective, controlled, multicentre cohort study”. The Lancet (2019), September 2, 2019. DOI: S0140-6736(19)31996-8.
WEITERE INFORMATIONEN
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Kardiologie und Pneumologie
Prof. Dr. Markus Zabel, Leiter des Schwerpunkts Klinische Elektrophysiologie
Telefon 0551 / 39-65254
markus.zabel(at)med.uni-goettingen.de